Rüdiger Plantiko

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Wer überhaupt noch einen Wahrheitsbegriff hat, wem also nicht in modischem Relativismus alles einerlei ist, der weiß auch: es ist nicht arrogant oder unbescheiden, sich zur Wahrheit zu bekennen und sie vom Irrtum deutlich zu unterscheiden.

Auch ist es nicht besonders menschenfreundlich, einen Menschen in einem Irrtum zu belassen. Wenn jemand im Wald schöne "Champignons" gesammelt hat, die aber in Wahrheit Knollenblätterpilze sind, und er diese nun verspeisen möchte, dann bin ich nicht böse, gemein oder ausgrenzend zu ihm, wenn ich ihn beharrlich und energisch von seiner irrigen Ansicht über die Knollenblätterpilze abbringe. Wer einfach nur sagt "Jedem sein Glauben, glaube Du nur, daß es Champignons sind, wenn das so für Dich stimmt", der ist nicht wirklich um seinen Nächsten bemüht, sondern will eigentlich nur seine Ruhe haben. Die Wahrheitsfrage ist ihm ebenso egal wie das Wohl seines Nächsten.

Die Rede von der objektiven Wahrheit hat für Christen eine besondere Relevanz: denn sie glauben, daß Christus selbst, der Sohn Gottes, gemäß seiner Selbstaussage der Weg, die Wahrheit und das Leben ist (Joh 14,6 ). Er ist die Wahrheit, die in diese Welt gekommen ist. Der katholische Glaube ist hier klar: in der apostolischen Sukzession wurde das Heilswirken Christi selbst im Volk Gottes, der Kirche, überliefert, sein göttliches Selbstopfer nach seinem eigenen Auftrag in der Heiligen Eucharistie beständig gefeiert, und seine Lehre im Lichte des Heiligen Geistes zwar tiefer verstanden, von den Kirchenlehrern erläutert und entfaltet, aber nicht im Kern verändert. Im Vertrauen und in der Liebe zu Gott hält der Christ diese ihm gegebenen Glaubenswahrheiten fest. Der Missionsauftrag (Mk 16,15ff ) erwartet von jedem Christen, die Wahrheit des katholischen Glaubens zu verbreiten, andere Menschen in der Erkenntnis der Wahrheit und im Willen zum Guten in die Kirche hineinzuführen.

Nun fordert genau der nächste Satz dieses Missionsauftrags, der wie als Grund der Mission angeführt wird, sehr hart zur Entscheidung heraus: "Wer glaubt und getauft wird, der soll gerettet werden. Wer aber nicht glaubt, der soll verdammt werden" (Mk 16,16). Ohne Mission bliebe es anderen Menschen versagt, die frohe Botschaft kennenzulernen und an Christus zu glauben, was nach diesem Christuswort zur Verdammnis führt. Das setzt das ganze Unternehmen des Missionierens unter einen gewaltigen Druck. Die Mission muß durchgeführt werden, und sie muß erfolgreich sein, andernfalls verlieren Menschen in großer Zahl ihr Seelenheil. Und wenn der katholische Glaube wahr ist, enthalten andere Religionen bestenfalls einige Teile der Wahrheit, aber nicht die ganze Wahrheit. Es wäre daher erstrebenswert, alle Menschen zur Taufe und in die Kirche zu führen, ganz gleich welcher Religion sie aus ihrer Tradition angehören.

In der Bulle Cantate Domino des Konzils von Florenz (1439-1455) wurde in diesem Sinne festgehalten (Nr. 1352):

[Die hochheilige römische Kirche, durch das Wort unseres Herrn und Erlösers gegründet,] glaubt fest, bekennt und verkündet, daß niemand außerhalb der katholischen Kirche — weder Heide noch Jude noch Häretiker oder ein von der Einheit Getrennter — des ewigen Lebens teilhaftig wird, vielmehr dem ewigen Feuer verfällt, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist, wenn er sich nicht vor dem Tod ihr (der Kirche) anschließt. So viel bedeutet die Einheit des Leibes der Kirche, daß die kirchlichen Sakramente nur denen zum Heil gereichen, die in ihr bleiben, und daß nur ihnen Fasten, Almosen, andere fromme Werke und der Kriegsdienst des Christenlebens den ewigen Lohn erwirbt. Mag einer noch so viele Almosen geben, ja selbst sein Blut für den Namen Christi vergießen, so kann er doch nicht gerettet werden, wenn er nicht im Schoß und in der Einheit der katholischen Kirche bleibt

Es ist wahr: ein Katholik, der nach diesen Worten lebt, muß die Mission absolut ernstnehmen, denn das Seelenheil vieler Menschen ist in Gefahr. An dem Satz läßt sich nicht viel herumdeuteln, er ist sehr klar formuliert. Aber wie missioniert man denn richtig? Da der Glaube aus dem Gewissensentschluß des einzelnen hervorgehen muß, kann Mission nur bedeuten, daß man den eigenen Glauben möglichst überzeugend darlegt, aber auch durch seine christliche Lebensführung "leuchtet".

Und doch: "wer nicht glaubt, wird verdammt" - wie streng und ausnahmslos kann man das verstehen? Was ist mit Kindern, die sterben, bevor sie überhaupt glauben können? Was mit Heiden, die das Christentum nie kennengelernt haben?

Die Bloggerin Katholisch ohne Furcht und Tadel weist auf eine offenkundige Ausnahme hin - auf Fälle, in denen es gar nicht möglich ist an ihn zu glauben oder nicht an ihn zu glauben – weil man Ihn gar nicht kennt. Sie schreibt

[Gott] verlangt nichts Unmögliches vom Menschen und Gott verdammt nicht, weil jemand nicht das Glück hatte, einem Missionar zu begegnen, oder weil er intellektuell oder emotional nicht frei dazu war, die Wahrheit zu erkennen. Wir nennen das Begierdetaufe: Wenn dem Menschen die Lehre klar vorliegen würde, würde er Christus dann annehmen? Dies widerspricht nicht dem Bibelwort, dass man nur durch Christus gerettet werden könne, denn auch dann wird man schließlich durch Christus gerettet.

Als der Begriff der Begierdetaufe formuliert wurde, der diese (scheinbare) Ausnahme zum Christuswort Mk 16,16 begründen soll, gab es noch ganze Länder, die kein Christ je betreten hatte, und Menschen, die ihr ganzes Leben noch nichts von Christus gehört hatten. Es gab Menschen, die keine Gelegenheit hatten oder haben, je in ihrem Leben getauft zu werden und das Evangelium kennenzulernen, die in ihrem Herzen aber trotzdem die Sehnsucht nach dem Christus verspürten, dessen Leben und Person ihnen äußerlich unbekannt war. So nahm noch Papst Pius IX. von dem "Wer aber nicht glaubt, soll verdammt werden" diejenigen aus, die "in unüberwindlicher Unkenntnis der wahren Religion leben":

Im Glauben müssen wir festhalten, dass außerhalb der apostolischen römischen Kirche niemand gerettet werden kann; sie ist einzige Arche des Heiles, und jeder, der nicht in sie eintritt, wird in der Flut untergehen. Aber dennoch muss gleicherweise für gewiss gelten, dass diejenigen, die in unüberwindlicher Unkenntnis der wahren Religion leben, von keiner Schuld dieser Art vor den Augen des Herrn betroffen werden” (in der Ansprache Singulari Quadam vom 9.12.1854)

In "unüberwindlicher Unkenntnis"... Heute ist die Botschaft von Christi Leben, Tod und Auferstehung in praktisch alle Länder verbreitet. Kann sich ein Europäer beim Gericht mit dieser "unüberwindlichen Unkenntnis" herausreden, der in einem christlichen Umfeld aufgewachsen ist, der als Kind vielleicht mit den Eltern die Gottesdienste besuchte und am kirchlichen Leben teilnahm, im Religionsunterricht die Lehren des Christentums kennenlernte, und als Erwachsener dann der Kirche den Rücken kehrte, weil er der Meinung war, "daß irgendwie doch alle Religionen recht haben" und, wie es schon Friedrich der Große sagte, "ein jeder nach seiner Façon selig werden möge", in seiner persönlichen Façon aber der Herr Jesus zwar sicher ein irgendwie vorbildlicher Mann war, der es gut meinte, vielleicht gar ein Revolutionär (was ja heute als so eine Art Held gilt), aber das mit der Gottessohnschaft, der Auferstehung und Himmelfahrt, den Wundern und Zeichen, das sei schon nur symbolisch zu verstehen, und sind wir nicht irgendwie alle Gotteskinder? [grinst]

Wir können nicht in die Herzen schauen und wissen daher nicht, ob diese "unüberwindliche Unkenntnis" bei einem Menschen, der mit dem Mund die Lehre der Kirche ablehnt, wirklich vorliegt. Natürlich gibt es herrschende Dogmen und Ansichten, die es auch in einem christlichen Land den Menschen unglaublich schwer machen, in der Erkenntnis zur wahren christlichen Religion vorzustoßen. Nach Augenschein liegt eher ein Nicht-Wollen als ein Nicht-Können vor. Für Christen gilt natürlich trotzdem das Verbot zu richten, gerade in dieser absolut existentiellen Frage.

Übrigens ist auch das II. Vaticanum, das manche so mißverstehen, als hätte es eine allgemeine religiöse Beliebigkeit gelehrt, bei der Frage der Heilsnotwendigkeit der Kirche ganz klar. Die Ausschließlichkeit der römisch-katholischen Kirche ist keineswegs "durch das II. Vaticanum aufgehoben" oder abgemildert:

Gestützt auf die Heilige Schrift und die Tradition, lehrt sie [die Heilige Synode], daß diese pilgernde Kirche zum Heile notwendig sei. Christus allein ist Mittler und Weg zum Heil, der in seinem Leib, der Kirche, uns gegenwärtig wird; indem er aber selbst mit ausdrücklichen Worten die Notwendigkeit des Glaubens und der Taufe betont hat (vgl. Mk 16,16; Joh 3,5), hat er zugleich die Notwendigkeit der Kirche, in die die Menschen durch die Taufe wie durch eine Türe eintreten, bekräftigt. Darum könnten jene Menschen nicht gerettet werden, die um die katholische Kirche und ihre von Gott durch Christus gestiftete Heilsnotwendigkeit wissen, in sie aber nicht eintreten oder in ihr nicht ausharren wollten. Jene werden der Gemeinschaft der Kirche voll eingegliedert, die, im Besitze des Geistes Christi, ihre ganze Ordnung und alle in ihr eingerichteten Heilsmittel annehmen und in ihrem sichtbaren Verband mit Christus, der sie durch den Papst und die Bischöfe leitet, verbunden sind, und dies durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung und Gemeinschaft. Nicht gerettet wird aber, wer, obwohl der Kirche eingegliedert, in der Liebe nicht verharrt und im Schoße der Kirche zwar "dem Leibe", aber nicht "dem Herzen" nach verbleibt (Lumen Gentium Nr. 14)

Wenn dann in Nostra aetate auch positive Aspekte der nichtchristlichen Religionen hervorgehoben werden, so heißt dies nicht, daß die Kirche sich in den Kreis dieser Religionen - gleichsam als ein Beitrag unter vielen - einreihen würde. Man kann das Dokument, isoliert vom Rest der kirchlichen Tradition, leider so interpretieren, aber das wäre keine katholische Interpretation mehr. Vielmehr sind die nichtchristlichen Religionen durch diese positiven Aspekte ihrer Lehre oder Praxis auf die Kirche hingeordnet, sie legen Dinge im Menschen an, die ihm helfen können, in die Kirche hineinzugeraten. Daß die teils verheerenden negativen Seiten dieser Religionen, die ja vor aller Augen offen daliegen, in Nostra Aetate nicht benannt werden, ist darüberhinaus vielleicht auch ein Wink, daß es die klügere Missionierungsstrategie ist, den Menschen von diesen positiven Seiten ausgehend zum Christentum hinzuführen, als zu versuchen, ihm seine eigene Religion ausreden zu wollen (was vielleicht als Angriff empfunden und mit einem Gegenangriff beantwortet wird).

Das Konzilsdokument Lumen Gentium enthält auch die Warnung vor einem Heilsstolz (LG 14):

Alle Söhne der Kirche sollen aber dessen eingedenk sein, dass ihre ausgezeichnete Stellung nicht den eigenen Verdiensten, sondern der besonderen Gnade Christi zuzuschreiben ist; wenn sie ihr im Denken, Reden und Handeln nicht entsprechen, wird ihnen statt Heil strengeres Gericht zuteil.

Überhaupt können wir dieses Thema zwar in seiner Allgemeinheit rational durchdringen, aber wenn es um den konkreten Einzelmenschen geht, ist unsere Urteilskraft begrenzt. Wer wirklich "drinnen" ist und wer "draußen", können wir nicht mit Bestimmtheit sagen, was schon der Hl. Augustinus bemerkte (in De Baptismo 5,27):

Multi, qui foris videntur, intus sunt; et multi, qui intus videntur, foris sunt.

Viele, die drinnen zu sein scheinen, sind draußen; und viele, die draußen zu sein scheinen, sind drinnen.

Veröffentlicht: Sonntag, den 13. Januar 2019