Rüdiger Plantiko

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Unser Stoffwechsel arbeitet im Hintergrund. Wir bemerken und vermissen ihn erst dann schmerzlich, wenn wir uns eine Krankheit eingefangen haben. So ist es auch mit anderen Dingen, die wir wie selbstverständlich voraussetzen, deren Wert wir aber erst dann schätzen lernen, wenn man sie uns wegnimmt: Zum Beispiel die Freiheit. Pat Condell beschreibt, wie er persönlich zu einem Jünger der Freiheit mutierte:
I’m a fairly recent convert to the religion of freedom. Most of my life I have taken freedom for granted; it’s just been there in the background being reliable and boring, but since the rise of the european super-state along with multi-culturalism, the religion of peace, and all the insane bollocks that goes with it, I am pleased to say that my appreciation for freedom as a concept has been fully awoken, and has now reached genuinely religious proportions. Hallelujah.
Am Schluss seines Vortrags endet er mit dem Bekenntnis:
I don’t want to be the person who wishes they said something when they had the chance.
Es ist erstaunlich, wie nahe er (obschon Atheist) dadurch der Haltung der Weissen Rose kommt. Inge Scholl schreibt:
Während die einen über sie spotteten und sie in den Schmutz zogen, sprachen die anderen von den Helden der Freiheit.

Aber kann man sie Helden nennen? Sie haben nichts Übermenschliches unternommen. Sie haben etwas einfaches verteidigt, sind für etwas Einfaches eingestanden, für das Recht und die Freiheit des einzelnen Menschen, für seine freie Entfaltung und ein freies Leben. Sie haben sich keiner aussergewöhnlichen Idee geopfert, haben keine grossen Ziele verfolgt; was sie wollten, war, dass Menschen wie du und ich in einer menschlichen Welt leben können. Und vielleicht liegt darin das Grosse, dass sie für etwas so Einfaches eintraten und ihr Leben dafür aufs Spiel setzten, dass sie die Kraft hatten, das einfachste Recht mit einer letzten Hingabe zu verteidigen. Vielleicht ist es schwerer, ohne allgemeine Begeisterung, ohne grosse Ideale, ohne hohe Ziele, ohne deckende Organisationen und ohne Verpflichtung für eine gute Sache einzustehen und einsam sein Leben für sie einzusetzen. Vielleicht liegt darin das wirkliche Heldentum, beharrlich gerade das Alltägliche, Kleine und Naheliegende zu verteidigen, nachdem allzuviel von grossen Dingen geredet worden ist.

(Aus: Inge Scholl: Die Weisse Rose, Frankfurt 1955, p.12)

Genau dasselbe Problem: das Problem der gar nicht selbstverständlichen Verteidigung des Selbstverständlichen beschreibt Mathias Döpfner in seinem Buch Die Freiheits-Falle:

Zum einen: Der Freiheitsbesitzer geniesst die Freiheit, er nimmt sie als Naturgesetz hin und verkennt oder verharmlost oder merkt nicht, dass man ihm nehmen könnte, was er besitzt. Zweitens: Sobald er es merkt, also dann, wenn Freiheitsberaubungen evident sind, verteidigt er die Freiheit mit einem strukturellen Nachteil gegenüber denjenigen, die sie angreifen.
Veröffentlicht: Dienstag, den 27. Dezember 2011