Rüdiger Plantiko

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Obwohl der Marxismus längst erledigt ist, wie ich vor kurzem in einem Blog noch einmal zusammenfasste, stellt sich die Frage, warum marxistische Denkfiguren bis heute noch so ungesund in der Gesellschaft herumschwären.

Warum bestimmt der Sozialismus / Marxismus nach wie vor das Denken vieler - und sei es in seiner verkappten Form als sogenanntes fortschrittliches Denken?

Warum erscheint kaum eine Zeitung, in der nicht irgendwo die Standardfigur von der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen Arm und Reich bemüht wird?

Warum halten sich die aus seiner Theorie entnommenen Begriffe wie Ausbeutung, Entfremdung, Klassenkampf so hartnäckig – ebenso wie seine utopische Konstruktion vom "unaufhaltsamen" historischen "Fortschritt", hin zu einer kitschig-erträumten Zukunftsgesellschaft 100%ig verwirklichter Toleranz und Friedfertigkeit?

Warum kommt man sich so ungeheuer aufgeklärt und fortschrittlich vor, wenn man seltsame Dinge sagt wie: "Alles Private ist politisch" oder "Diese Wirtschaft tötet"?

Mir fällt eine - sicher nicht vollständige - Reihe von Gründen für das Fortleben der marxistischen Klischees ein:

  • Ein wichtiger Grund ist, dass der Staat als Retter, Erlöser und guter Hirte bereits institutionalisiert ist. Einmal eingeführte staatliche Stellen werden nie wieder verschwinden, ebenso wie einmal eingeführte Steuern. Das ergibt einen immer stärker werdenden Druck in Richtung noch mehr Staat, noch mehr staatlichen Geldtransfer. Die Nationen des Westen haben mittlerweile Staatsquoten von 40 bis weit über 50%. All die Empfänger staatlicher Wohltaten - seien es Beamte, seien es in der Sozialbranche Tätige, nicht zuletzt auch die tatsächlichen Empfänger von staatlichen Transferleistungen - werden das Umverteilungssystem preisen und weiteren "Fortschritt" in dieser Richtung fordern (ganz im Einklang mit dem Aktionsprogramm aus dem Kommunistischen Manifest), bis es schliesslich unter der Last dieser Abgaben zusammenbricht und ein Reset notwendig wird. Die Gründer der USA wie Benjamin Franklin hatten diese Gefahr bereits vorausgesehen:
    The moment when the people find that they can vote themselves money, will herald the end of the republic.
  • Es wurde zwar entnazifiziert, aber nicht ent-bolschewisiert/ent-marxisiert: Die Greuel des Bolschewismus wurden nie nennenswert aufgearbeitet, ganz zu schweigen von der dringend notwendigen Ideologiekritik. Es waren immer nur einzelne, die diese Kritik leisteten, z.B. die Ökonomen der "Österreichischen Schule". Kommunisten gelten nach wie vor als salonfähig, während ihre nationale Spielart, die Nazis, als Verkörperung des Leibhaftigen angesehen werden. Kommunisten sind immer wieder gern gesehene Gäste bei "Anne Will" und "hart aber fair", ihre Beiträge werden geschätzt und diskutiert - man stelle sich zum Kontrast einmal nur einen einzigen Nazi als Gast einer solchen Talkshow vor. Eine einzelne Fraktion der Sozialisten bekommt somit den Schwarzen Peter zugeschoben, während der Rest sich im politischen Diskurs unbehelligt als ernstzunehmende, um das Wohl der Menschheit besorgte, ja "fortschrittliche", "gute" Kraft, als Anwalt von irgendwelchen armen, um ihre (Anspruchs-)Rechte betrogenen Menschen in Szene setzen kann.
  • Wie die Fliegen auf den Leim, landen wir mit unserem Christentum leider nur zu oft bei dessen verweltlichter, materialisierter Karikatur, die die Güte und Barmherzigkeit als festes Gesetz in der Gesellschaft institutionalisieren will (womit Güte und Barmherzigkeit, als aus dem Herzen kommende Werte, zugleich gerade pervertiert werden).
  • Das utopische Denken ist eine bequeme Vereinfachung. "Es ist ziemlich langwierig und anstrengend, auch nur bruchstückhaft zu erkennen, wie die Welt tatsächlich ist - aber ziemlich leicht, sich auszudenken, wie sie sein soll. Das schafft auch ein 15jähriger, und er bekommt dadurch die Illusion, er wüsste irgend etwas." (Manfred Kleine-Hartlage)
  • Das Sich-Auflehnen gegen Ordnung und Herrschaft ist ein normales pubertäres Durchgangsstadium und in dieser Phase auch sinnvoll und richtig. In einer Welt, in der die Pubertät bis zum Tode perpetuiert wird, das Erwachsenwerden bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag aufgeschoben wird, bleibt auch das modische "Rebellentum" - wenn es auch beim älteren Menschen zunehmend nur widerliche Pose wird.
  • Der Kulturmarxismus - wie Fjordmann und viele Konservative in Europa und in den USA es nennen - ist Herrschaftsideologie. Er wird in den Universitäten gelehrt und reproduziert. Da die meisten Führungsfiguren in Politik und Wirtschaft die Universitäten durchlaufen, bestimmt die dort vorherrschende Ideologie in hohem Masse auch die Politik.
  • Die Hohepriester und Schriftgelehrten des Kulturmarxismus legitimieren sich mit einer komplizierten, nicht-intuitiven Ideologie, mit der sie sich vom Volk absetzen und diesem intellektuell überlegen (verbrämt als: "für es verantwortlich") vorkommen, auch von der breiten Masse der eigenen Gläubigen, die an den simplen (hyper)moralischen Forderungen genug haben. Tatsächlich muß man oft einige Gehirnakrobatik treiben, um selbst einfachste Sachverhalte mit der marxistischen Ideologie in Einklang zu bringen.
  • Hiermit ist ein psychologischer Faktor genannt – zu nennen ist dann auch der Neid, der bekanntermassen häufig mit linker Rhetorik rationalisiert wird. Nun sind Neid und Missgunst stark im Menschen verankert. Der Appell an diese Gefühle fällt daher leicht auf fruchtbaren Boden.
  • Die Fortschritts-Ideologie ist die modische Art, die Dinge zu sehen – und damit für den einzelnen auch die Eintrittskarte für die politische Elite: Um ein Mensch von Welt zu sein, um sich auf internationalem Parkett zu bewegen, ohne als "rückschrittlicher Spiesser" oder dummes Landei mit "naiven Ansichten" (in den USA: als "red neck") aufzufallen, muss man das "progressive" Neusprech beherrschen und am besten verinnerlicht haben. Nur so kommt man an die begehrten Pöstchen und Privilegien.
  • Der zunehmende Einfluss von Frauen und weiblichem Denken auf die Politik spielt eine Rolle: Frauen streben erwiesenermassen mehr nach Sicherheit als Männer, sind von Natur aus viel risikoscheuer. Ein Staat wäre ganz nach ihrem Geschmack, in dem das Leben von der Wiege bis zur Bahre gegen jedes Risiko abgesichert ist, in dem keine beängstigenden Unvorhersehbarkeiten mehr passieren, die ihnen den Nachtschlaf rauben könnten. Die Freiheit, ein tendenziell eher von Männern geschätzter Wert, kann dabei der Geborgenheit im sozialen Netz ruhig geopfert werden; zumindest gilt sie ihnen der sozialen Sicherheit als nachgeordnet.
Das sind alles Gründe. Der tiefste Grund dürfte meines Erachtens aber im Bereich des Geistigen zu finden sein: es wäre gewissermassen die dunkle Seite der Aufklärung zu studieren, wie sie vor etwas über 200 Jahren kurz vor, während und nach der Französischen Revolution manifest wurde. Als Symbol dieser Geisteshaltung kann man es ansehen, dass damals in vom Staat organisierten Prozessionen ein Standbild der Göttin Vernunft durch die Strassen getragen wurde. Doch die Beleuchtung dieses spannenden Themas sei einer gründlicheren Untersuchung vorbehalten.
Veröffentlicht: Montag, den 7. Juli 2014