Rüdiger Plantiko

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Vor kurzem sprach ich mit einer Frau, die sich selbst als Heidin bezeichnete und sich vehement gegen die Monogamie aussprach. Die Monogamie sei eine einzige Heuchelei. Die Menschen könnten von ihrer Natur her diesem Anspruch gar nicht gerecht werden. Weil sie daher immer wieder daran scheiterten, fühlten sie sich schlecht, und die Kirche wisse um die Unerfüllbarkeit und schüre dieses schlechte Gewissen planmäßig. Sie mache sich das notwendige Versagen der Menschen an einer unerfüllbaren Norm zunutze, um Herrschaft über sie auszuüben. Der Mensch sei ("Das ist Evolution! Biologie!!!") für die Polygamie geschaffen. Die Monogamie sei nur das Joch, das eine "Sklavenreligion" den Menschen auferlegt habe.

Das ist eine weit verbreitete Argumentation. Sie wird nicht nur zur Rechtfertigung der Polygamie verwendet, sondern auch aller Arten sexuell ungeordneten Verhaltens – und auch gegen den Zölibat der Priester ins Feld geführt. Immer wenn wieder das Schreckliche passiert ist und sich ein Priester an einem Kind vergangen hat, wird dies auf seine "unnatürliche" Lebensweise zurückgeführt. Der Trieb suche sich eben eine Abfuhr, dieser übermächtige Trieb im Menschen, dem sich keiner entziehen könne. Vor allem in den Männern wirke der Trieb als ein Druck, der beständig und regelmäßig nach Entladung verlange. Da könne man nichts machen, das müsse man akzeptieren, und, hey, Du glaubst doch an Gott, ist der Trieb denn nicht gottgegeben? [blinzelt]

Was für ein merkwürdiger Widerspruch zum heute so omnipräsenten Freiheitsdurst! Von allem möglichen will man sich doch befreien – jede Unterdrückung und vermeintliche Unterdrückung, jede unsichtbare, aber irgendwie strukturelle Gewalt, noch jede sogenannte Mikro-Aggression, die in der Sprache des Gegenübers verborgen lauere, wird mit Inbrunst angeprangert. Alles, was dem Menschen und der Gesellschaft Struktur und Form gibt, wird lautstark abgelehnt, da es der eigenen Freiheit im Wege stehe.

Wenn es aber um die Befriedigung von Gelüsten geht, die irgendeine noch so entfernte Ähnlichkeit mit Sexualität haben – ja, da versklavt man sich gern! Da ist man – leider! leider! – das Opfer einer höheren Gewalt, eines Triebdrucks, gegen den kein Kraut gewachsen sei.

Da werden auch Menschen, die eben noch gewettert haben, daß man ihnen durch Verwendung eines faschistoiden Pronomens Gewalt angetan habe, plötzlich ganz ergeben: "da kann man nichts machen" – manche bringen sogar Gott ins Spiel, von dem sie sonst eher gar nichts wissen wollen, und manch ein Unfrommer sagt plötzlich mit frommem Augenaufschlag "Gott hat uns so gemacht".

Ich halte diese ganze Triebdrucktheorie für eine ungeheure Lüge.

Ich stelle im Gespräch immer fest, daß die Menschen, wenn sie verlogene, falsche Theorien vertreten, immer so eine ganz besonders verbissene, fanatische Festigkeit bekommen – so als wüßten sie innerlich darum, daß sie etwas Falsches vertreten. Sie verlieren ihre Ruhe, werden lauter, heftiger, oft auch persönlich, wollen gar nicht mehr vom Thema ablassen, bis ich ihnen endlich zustimme. Die Triebdrucktheorie ist eine solche Lüge. Wer das nicht durch ruhige, logische Betrachtung selbst erkennt, kann es schon an der verräterischen Heftigkeit sehen, mit der sie verteidigt wird.

Die Triebdrucktheorie degradiert nicht nur die Sexualität selbst, diese wunderschöne zwischen den Geschlechtern wirkende Anziehungskraft, zu einem dumpfen, blinden Mechanismus, sondern macht auch diejenigen, die sich zum bloßen Agenten ihres Triebdrucks erklären, zu Automaten, zu Sklaven. Bevorzugt Männern schreibt man dieses automatenhafte Verhalten zu – nur zu gern stricken sie aber auch selbst an diesem Mythos mit, denn sie können sich ja so schön dahinter verstecken. Es gibt Männer, die von sich selbst sagen, sie könnten nicht anders, sie müßten einfach einmal pro Woche "ihr Gewehr reinigen". Zu was für armseligen, traurigen, erbärmlichen Gestalten degradieren sie sich damit selbst! Männer, ihr seid für anderes geschaffen! Männer sind als Männer daraufhin angelegt, um die Frauen zu werben, sie zu lieben, sie zu verehren, um sie zu kämpfen, sie zu beschützen! Das ist, wohin die Sexualität sie zieht. Und nicht dahin, vor dem Bildschirm zu masturbieren oder Frauen wie Trophäen zu sammeln. Das sind Karikaturen von Sexualität.

"Aber ich kann nicht anders – ich konnte nicht anders – der da / die da / das da hat mich dazu gebracht" – das ist seit Urzeiten die Entschuldigung des Sünders. Nicht daß Sexualität an sich sündhaft wäre – im Gegenteil, das "die zwei werden ein Fleisch sein" ist an sich, seinem Wesen nach etwas sehr Schönes – ein Sinnbild der göttlichen Liebe auf der irdischen Ebene. Wenn man sie aber vor den Karren der eigenen Wunscherfüllung spannt, sie zu einem Mechanismus der Lustbeschaffung degradiert – dann macht man das Schöne häßlich, das Exklusive ordinär, das Gute böse. Und sich selbst gleich mit. Dann sei wenigstens ehrlich zu Dir selbst und sage "Ich will es so", statt dieses heuchlerische "Ich kann nicht anders" im Munde zu führen! Hör auf mit diesen fadenscheinigen Rationalisierungen! Durch die fadenscheinigen Stellen Deiner "Argumente" sieht man Deine wahren Motive so deutlich durch, daß Dir geradezu die Schamröte ins Gesicht steigen müßte!

Aber der hochgelehrte Professor Freud hat es doch bewiesen, daß der Sexualtrieb wie eine Naturgewalt in uns wirkt, und der hat Ahnung von Psychologie! Interessant, plötzlich zählt auch wieder Autorität etwas – wenn sie nämlich das Gewünschte beweist, und nur darum geht es. Es hat seinen Grund, daß die Freudsche Psychoanalyse in unserer Zeit so beliebt ist. Aber sie ist nur ein Zeitphänomen. Vor einigen Jahrhunderten haben hochgelehrte Herren noch mit dem Sternenzwang argumentiert: er konnte nicht anders, er mußte sich so und so verhalten, denn der Mars warf einen bösen Gegenschein auf seinen Saturn! Heute sind andere Determinismen in Mode, aber es ist ziemlich klar, daß man auch diese in naher Zukunft belächeln wird (und die Psychoanalyse ist im wissenschaftlichen Fachdiskurs der Psychologen schon heute erledigt).

Ja, die Theorie stimmt in einem gewissen Sinne: die Handlungen, die da als Sexualität bezeichnet werden, sind eine Versklavung – aber man begibt sich selbst hinein, ganz freiwillig! Hat man sich erst einmal unter das Joch begeben, wirken auch Suchtmechanismen, etwa durch Pornographie.

Die Bibel weiß natürlich genau um all dieses – es ist in diesem einen Satz verdichtet:

Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht (Joh 8,34)
Veröffentlicht: Sonntag, den 26. Mai 2019