Rüdiger Plantiko

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Heutzutage herrscht im Diskurs eine übergroße, beinahe weinerliche Empfindlichkeit. Dies ist zu einem großen Teil der political correctness geschuldet. Alles Mögliche kann sich plötzlich als "offensive" oder gar als "Haßrede" erweisen und bestraft werden, ohne dass man dies vorher mit Bestimmtheit hätte voraussagen können (also im Widerspruch zum grundgesetzlichen Bestimmtheitsgebot). Statt ein hartes Wort auszuhalten, rennt man lieber zum Kadi und versucht dem Opponenten gerichtlich eins auszuwischen. Es ist wie damals im Sandkasten: "Das sag' ich meiner Mama, dann kannst du was erleben!"

Die Sorge, dem anderen bloß nicht auf den Schlips zu treten und mühsam jedes Wort zu vermeiden, das einem zum eigenen Schaden ausgelegt werden kann, erstickt vor allem eines: den leidenschaftlichen, feurigen Dialog von Opponenten, die es ernst miteinander meinen. Daß, wer es ernst meint, auch zu deutlichen Worten greift, liegt in der Natur der Sache. Der Streit der Meinungen ist das Lebenselixier der Demokratie, und es muß möglich sein, ihn mit harten Bandagen zu führen - mit plakativen Worten, auch einmal mit Übertreibungen, um die eigene Sache deutlich zu machen oder die Gegenposition ad absurdum zu führen. Damit spreche ich natürlich nicht irgendwelchen persönlichen Beleidigungen und Unterstellungen das Wort – diese bringen nämlich keinen Erkenntnisgewinn und dienen auch nicht wirklich der Klärung der eigenen Position. Statt des Sacharguments suggeriert das ad hominem bloß: Nur verkommene Individuen sind anderer Ansicht als ich. Nicht gerade ein kräftiger Einwand.

Von einer echten Streitkultur, wie es sie in den ersten Nachkriegsjahrzehnten in Westdeutschland noch einigermaßen gab, haben wir uns weit entfernt. Ich betrachte das als ein Symptom, dass die Wahrheit selbst uns gar nicht mehr interessiert, die Suche danach ihren Ernst verliert. Daß nicht mehr - und sei es wenigstens in der Erkenntnis - ein Konsens darüber besteht, dass es nur eine der Wirklichkeit gemäße Ansicht geben kann, um die sich alle bemühen, sondern alles in einem bunten, belanglosen Nebeneinander stehengelassen wird, in dem alles, selbst das Absurdeste, den gleichen Rang bekommt. Ein Nebeneinander, das in seiner Haltung letztlich eine faule Verleugnung der Wahrheit ist.

Dabei lebt die Diskussion, gerade auch die politische, davon, daß die Opponenten sich ihrer Sache sicher sind. Daß es dabei heftig wird, vielleicht manchmal auch ungerecht, daß buchstäblich die Fetzen fliegen, ist ein Zeichen einer echten Auseinandersetzung, die die Begegnung mit dem anderen nicht scheut und gerade deswegen die eigene Sache mit klaren Worten bekennt – nicht verleugnet oder zu einem heuchlerischen, süßlichen Einheitsbrei verfälscht.

In der islamkritischen Szene spricht man vom Dialüg: Das sind meist von offiziellen oder kirchlichen Stellen organisierte Pseudodialogveranstaltungen, bei denen beispielsweise ein Imam, ein Priester und ein Rabbiner auf dem Podium sitzen und sich gegenseitig beteuern, wie großartig und friedlich sie die Religion des jeweils anderen finden. Daß man sich hier gegenseitig etwas in die Tasche lügt, ist für jeden unbefangenen Beobachter offensichtlich. Es wird ein fauler Friede ausgehandelt, und diejenigen, die wirklich den Finger in die Wunde legen, die kritischen Punkte ansprechen, werden ausgegrenzt als "Feinde des Dialogs", als "Störer", als "Hetzer". Dabei ist offensichtlich, daß gerade sie nichts sehnlicher wünschen als einen offenen, ehrlichen Dialog, daß ihre Kritikpunkte angesprochen und nicht unter den Teppich gekehrt werden.

Die somalische Ex-Moslemin Ayaan Hirsi Ali führt andere Arten von Gesprächen. Gerade weil sie an ihrem Gegenüber interessiert ist, will sie eine harte, ernsthafte Auseinandersetzung. Nicht selten hat sie damit ihre Gesprächspartner vor den Kopf gestoßen, war "offensive". Aber ihre Ansicht dazu ist: Genau so kann man das Denken öffnen: Durch ehrlichen, offenen Dialog. Vielleicht fließen Tränen dabei, aber kein Blut. (in: Ich bin eine Nomadin, Piper 2010, S. 268).

Es gibt sie aber auch noch, die ernsten Diskussionen, in der nicht sophistisch eingestellte Berufspolitiker und -akademiker aufeinandertreffen, um ihr Mundwerk ein bißchen zu üben und sich vor der Kamera zu zeigen, sondern Menschen, die mit leidenschaftlichem Ernst für ihre Überzeugungen einstehen.

Ich will hier exemplarisch einige Proben solcher Diskussionen geben. Ich stehe in jedem Fall klar auf einer der beiden Seiten, aber bei allen drei Diskussionen imponiert mir der Ernst, mit der beide Seiten um die Erklärung ihrer Situation kämpfen. Dreimal kein Dialüg!

Erstes Beispiel.- Der Christ David Wood diskutiert mit dem Islamgelehrten Shabir Ally über die Frage Is Jesus the Son of God?

Zweites Beispiel.- Die Ex-Moslemin (und Christin) Sabatina James diskutiert mit der Ahmadya-Moslemin Maryam Hübsch und zwei farblosen, eher dem Dialüg verschriebenen Männern, deren Namen ich mir nicht merken werde, über die Frage: Ist der Islam eine gewalttätige Religion?

Drittes Beispiel.- Echte liberale und echte konservative Positionen sind ja unter den in Deutschland herrschenden Parteien nicht repräsentiert (die FDP beansprucht zwar, liberal zu sein, trägt und unterstützt aber die Polit-Spielwährung "Euro", stützt die Forderung nach Mindestlohn u.v.a.m.; die CDU/CSU beansprucht, eine konservative Partei zu sein, arbeitet aber an der Abschaffung der deutschen Souveränität zugunsten der EU-Superstaats-Simulation, stützt die Homo-"Ehe" und die Gender-Agenda usw., ist also ebenfalls linker Mainstream). Außerparlamentarisch sind aber nach wie vor alle politischen Positionen vorhanden. Mit harten Bandagen streiten eine echte Konservative (Ellen Kositza) und ein echter Liberaler (André Lichtschlag) in Volk als Größe - Volk als Tick und der Fortsetzung.

Wie gesagt: All diesen Diskussionen ist gemeinsam, daß es den Kontrahenten wirklich Ernst ist um ihre Sache, tiefer Ernst. Das macht sie auch so lehrreich für den Zuhörer bzw. Leser.

Veröffentlicht: Dienstag, den 10. November 2015