Diese "Salbung mit dem Heiligen Geist" wird im Ereignis seiner Taufe deutlich (Mt 3:13):
Und da Jesus getauft war, stieg er alsbald aus dem Wasser; und siehe, da tat sich der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabsteigen und auf ihn kommen. Und siehe, eine Stimme kam vom Himmel, die sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!
Mit diesem Taufereignis, in dem nicht nur die Gottessohnschaft von Gott selbst verkündet wird, sondern in dem er in seiner dreifachen Gestalt anwesend ist, beginnt seine dreijährige Zeit als Lehrer, die in seiner Opfertat – seiner Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt – gipfelt.
Unmittelbar nach der Taufe unterzieht er sich einem vierzigtägigen Fasten in der Wildnis, als müsste seine menschliche Natur für das Wirken des göttlichen Logos vorbereitet werden. Es wird berichtet, daß gegen Ende dieser Fastenzeit drei Versuchungen an ihn herantraten.
Die erste Versuchung lautete (Mt 4:3):
Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, daß diese Steine Brot werden.
Es wird also im Kern an seinen - nach wochenlangem Fasten sicher mächtigen - Hunger appelliert, an seine leiblichen Bedürfnisse. Verpackt ist diese Versuchung aber als Ruf an seinen Stolz ("du bist doch Gottes Sohn"), als Herausforderung, als Appell an den Eigenwillen: verwandele doch die Steine in Brot, die Macht dazu hast du schließlich.
Jesus könnte die Versuchung - durch die Kraft seiner Worte Steine in Brot zu verwandeln - als schwarze Magie zurückweisen, als Anmaßung und Ungehorsam gegen seinen Auftrag. Er tut dies aber nicht, sondern geht auf den Zweck hinter der Versuchung ein: warum soll er dies denn tun? Nur um seinen Hunger, um sein leibliches Bedürfnis zu stillen? Der Hunger des Menschen nach Geist ist größer (später, in seiner Bergpredigt, wird er die Bettler um Geist, οἱ πτωχοὶ τῷ πνεύματι, selig preisen), er bleibt fest in der Absicht seines Fastens:
Und er antwortete und sprach: Es steht geschrieben: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht."
In der zweiten Versuchung wird er vom bösen Geist auf die Zinnen des Tempels geführt und aufgefordert, sich hinabzustürzen:
Bist du Gottes Sohn, so laß dich hinab; denn es steht geschrieben: Er wird seinen Engeln über dir Befehl tun, und sie werden dich auf Händen tragen, auf daß du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.
Der Versucher weiß natürlich, welche Bedeutung Jesus der Bibel beimißt. Er will ihn zu einem "Versuch" anstiften (dies ist Versuchung im reinsten Sinne des Wortes). Wie in einem physikalischen Experiment, einem Versuch eben, soll die Schrift erprobt werden. Theorie und Praxis. Wie in der ersten Versuchung soll auch hier der äußeren, physischen Welt der Vorrang vor der inneren, der Glaubenseinsicht gegeben werden. Die Glaubenseinsicht habe sich - wie eine naturwissenschaftliche Hypothese - der Überprüfung durch die äußere Welt zu unterziehen. Dabei sind Glaubenseinsichten auf der intuitiven Ebene angesiedelt, die Vorrang vor allem hat, was sich nur mittelbar, nur durch die Sinne erschließt.
Als wäre es ein Diskurs zwischen zwei Schriftgelehrten, geht Jesus auf das Bibelzitat des Satans ein und weist es mit einem anderen Schriftwort zurück:
Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben: "Du sollst Gott, deinen HERRN, nicht versuchen." (Deut 6:16)
Der Versucher merkt, daß er auch hier nichts ausrichten kann und sammelt seine Kraft für einen dritten Angriff.
Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit, und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest.
Dies nun ist die Versuchung der weltlichen Macht, die politische Versuchung. Die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit werden dir zufallen, wenn du dich unterwirfst! Ist das nicht der größte Beweis, daß ich es bin, der dich auf den rechten Weg leitet: daß du Erfolg und Macht hast? Du mußt nur die Kleinigkeit tun, daß du dich mir unterwirfst (إسلام), daß du niederfällst und mich anbetest (wer ich bin und welche Macht ich repräsentiere, mußt du dabei gar nicht genau wissen - es reicht, wenn du mich als dunkle, aller irdischen Vernunft enthobene, rein transzendente, an nichts gebundene, aus deiner Sicht absolut willkürliche, aber unbedingt anbetungswürdige Macht verehrst, als die Macht aller Macht, als die Quelle deiner irdischen Macht, mit der ich deine Unterwerfung belohnen werde). Schau dich um - in dieser Welt geht es um Macht, um das Recht des Stärkeren. Du kannst der Stärkste von allen sein, wenn du meine Sache zu deiner machst. Verkündige meine Sache und unterwirf die Menschen des ganzen Erdkreises mit dem Schwert deiner Königsherrschaft, bis alle Welt niederfällt und mich anbetet.
Dies ist nun der schroffste Gegensatz zu dem Heilsplan, der durch Christus in die Welt kommen sollte. Zugleich auch die deutlichste Zuspitzung: wenn du nicht Gott, sondern mir, Satan, dienst, wird dir großer Lohn zufallen. Entsprechend schroff weist Jesus auch diese dritte Versuchung zurück.
Da sprach Jesus zu ihm: Hebe dich weg von mir Satan! denn es steht geschrieben: "Du sollst anbeten Gott, deinen HERRN, und ihm allein dienen." Da verließ ihn der Teufel; und siehe, da traten die Engel zu ihm und dienten ihm.