Rüdiger Plantiko

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Ich hielt ihn für einen Scherz der Natur, Muhammad Ali, geb. Cassius Clay, und nahm ihn nicht ernst. Wie kann man denn auch jemanden ernst nehmen, der sagt:
Ich bin der Grösste, der Schönste. Ich bin so schön, dass ich eigentlich drei Frauen pro Nacht verdient hätte. Ich bin so gross, dass nur Allah mich k.o. schlagen kann.
Oder:
Ich habe den Namen Muhammad gewählt, denn Muhammad bedeutet jeder Verheissung würdig. Und ich bin jeder Verheissung würdig.
Oder:
Ob ich je einen Brief geschrieben, je ein Buch gelesen habe? Wahrhaftig nicht. Ich schreibe keine Briefe und lese keine Bücher. Das brauche ich nicht, weil ich mehr weiss als ihr alle. Ich weiss zum Beispiel, dass Allah ein älterer Gott ist als euer Jahwe und euer Jesus und dass Arabisch eine ältere Sprache ist als Englisch. Englisch ist erst vierhundert Jahre alt.
Oder:
Was ich nach dem Boxen mache? Na ja, vielleicht werde ich Staatschef in einem afrikanischen Land, das ein Oberhaupt braucht und sich fragt: Warum nehmen wir nicht Muhammad Ali, der so stark und schön und mutig und fromm ist?
Oder:
Wenn ich nicht in Florida, sondern in Alabama leben würde, würde ich für die stimmen, die nicht dafür sind, dass Weisse und Schwarze sich mischen. Ich wähle keine Typen wie Sammy Davis, die eine blonde Schwedin heiraten. Hunde sollen unter sich bleiben, Filzläuse sollen unter sich bleiben, Weisse sollen unter sich bleiben.
Ich will damit sagen, auch vom menschlichen Standpunkt aus fand ich nichts Ehrenwertes an diesem dummen, bösartigen, ungebildeten vierundzwanzigjährigen Angeber, der nur gut boxen konnte und basta. Es gab jedoch den ein oder anderen Moment, in dem mir Zweifel kamen, dass es ein Fehler sein könnte, ihn nicht ernstzunehmen. Kurz und gut, dass sein Verhalten von grösserer Bedeutung war, als es den Anschein hatte. Das erste Mal (es gab zwei Treffen), als er mit einem Satz herausplatzte, der des Voltairischen Protagonisten würdig gewesen wäre, der aus Liebe zu Mohammed seinen Papa umbringt.
Elijah Mohammed liebe ich mehr als meine Mutter. Denn Elijah Mohammed ist Muslim und meine Mutter Christin. Für Elijah Mohammed würde ich sogar sterben. Für meine Mama nicht.
Das zweite Mal, als die Black Muslims, die sein Haus bevölkerten, auf mich losgingen. Er verhielt sich nämlich sehr feindselig. Voller Groll. Anstatt meine Fragen zu beantworten, schnaufte er, kratzte sich, vertilgte riesige Scheiben Wassermelone und rülpste mir mitten ins Gesicht. (Absichtlich wohlgemerkt. Um mich zu beleidigen. Um mich daran zu erinnern, dass Filzläuse wie Weisse unter sich bleiben sollen. Nicht um seinen Magen zu erleichtern, also nicht aus blosser Unzivilisiertheit.) Es waren derart zyklopische, laut tönende, stinkende Rülpser, dass ich am Ende die Geduld verlor. Ich warf ihm das Mikrofon des Rekorders ins Gesicht, stand auf und wandte mich mit einem sakrosankten "Go to Hell, geh zur Hölle, du Untier" zum Gehen. Draussen wartete mein Taxi. Nun, zuerst reagierte er nicht. Sprachlos vor Staunen blieb er mit der soundsovielten, halb erhobenen Scheibe Wassermelone sitzen und hatte nicht einmal die Kraft, mich mit einem seiner unerbittlichen Knock-outs niederzustrecken. (Ein Schubs mit dem Daumen hätte in meinem Fall genügt.) Die Black Muslims dagegen verfolgten mich. Angeführt von seinem geistlichen Berater (einem gewissen Sam Saxon), erreichten sie das Taxi, in das ich inzwischen eingestiegen war, brüllten "dreckige Christin" und umringten es. Sie hämmerten darauf ein, hoben es hoch, versuchten, es umzustürzen und ... Die Strasse war menschenleer. Dem entsetzten Fahrer (ein Schwarzer mit einem koptischen Kreuz am Hals) gelang es nicht, den Motor anzulassen und wegzufahren. Wäre nicht zufällig eine Polizeistreife vorbeigekommen (ein Wunder, das meinen Unglauben auf eine harte Probe stellte), könnte ich diese Geschichte heute nicht erzählen.

Oriana Fallaci: Die Kraft der Vernunft, List Taschenbuch, Berlin 2006, S. 141-144 (italienisches Original erschienen 2004).

Veröffentlicht: Mittwoch, den 18. Januar 2012